Grand Canyon - South Kaibab Trail -
Happy Thanksgiving – oder auch nicht…
Happy Thanksgiving – oder auch nicht…
Der Grand Canyon ist fast 6 Millionen Besuchern pro Jahr der meist besuchte Nationalpark im Südwesten der USA. Immer mehr Besucher beschränken sich nicht auf das Abfahren der Aussichtspunkte am Rim, sondern wandern auch ein Stück in den Canyon hinein. Auf dem beliebten South Kaibab Trail gehen die meisten maximal bis zur Aussichtsplattform Cedar Ridge. Auf dem weiteren Weg bis zum Skeleton Point, dem offiziell besten Punkt im Grand Canyon, waren wir immer fast allein unterwegs, bis Thanksgiving 2014.
Nach dem Hochbetrieb in der Bright Angel Lodge und beim Sonnenuntergang am Vortag rechnen wir mit deutlich höherem Andrang auf unserem Hike. Aber die Menschenmassen, denen wir auf unserer 4,5 Stunden–Tour begegnen, übertreffen unsere schlimmsten Erwartungen bei weitem. So viele Wanderer waren auf unseren vielen Grand Canyon-Touren zusammen nicht unterwegs wie an diesem Feiertag Ende November 2014, obwohl wir fast immer im Mai am Grand Canyon waren. Und es sind noch nie so viele bis zum Skeleton Point weiter gelaufen.
Zum ersten Mal treffen wir auch unzählige Wanderer an, die einen Platz auf der Phantom Ranch oder auf dem Campingplatz am Grund des Grand Canyon ergattert haben. Uns ist das wieder nicht gelungen. Die Mehrtages-Wanderer brechen im Sommer normalerweise deutlich früher auf, um den heißen Tagestemperaturen zu entgehen. Bei 9° C (42,8° F) bis 15° C (68° F) im Schatten und maximal 21° C (70° F) in der Sonne ist das nicht mehr nötig. Und so werden wir ständig von meist jungen Leuten mit Rucksack und Schlafsack überholt. Die gut ausgerüsteten Hiker sind trotzdem wieder in der Minderheit.
Der Grand Canyon ist zwar technisch einfach, aber sehr steil. Bis zum Skeleton Point sind auf einer Strecke von 5 km (3,1 Meilen) 700 Höhenmeter (2.297 ft. difference in hight) zu überwinden, bei Steigungen und Gefälle bis zu 13°. Außerdem ist der Weg nicht überall gut angelegt. Es sind immer wieder Felsstufen zu überwinden.
Sorry für die Unannehmlichkeiten und Happy Thanksgiving
Natürlich kommt uns bei einer besonders sandigen und staubigen Passage eine Muli-Karawane entgegen, die uns ordentlich einstaubt. Die Guides entschuldigen sich für die Unannehmlichkeiten und wünschen Happy Thanksgiving. Das wünschen uns viele. Wirklich happy sind wir aber ehrlich gesagt nicht.
Abgesehen von dem Trubel, der uns echt fertig macht, hatte ich den Weg irgendwie leichter in Erinnerung. Vielleicht haben mir der steile Abstieg und die Felsstufen früher auch nie so viel ausgemacht, weil die grandiosen Ausblicke normalerweise alle Anstrengungen vergessen lassen. Heute habe ich teilweise fast keinen Blick mehr für dieses einzigartige Naturwunder, sondern bin nur noch damit beschäftigt, anderen Hikern auszuweichen, die vielen Happy Thanksgiving-Wünsche zu erwidern und irgendwie voran zu kommen. Manfred schlägt an Cedar Ridge sogar vor umzudrehen. Aber halbe Sachen sind nicht unser Ding und so gehen wir weiter – wie unzählige andere auch.
Skeleton Point – Alle sind begeistert – fast alle...
Am Skeleton Point sind wir von zahlreichen jungen Leuten aller Nationen umgeben. Leider können wir ihre Begeisterung für den spektakulärsten Aussichtspunkt im Grand Canyon irgendwie nicht so recht teilen. Das liegt sicher nicht daran, dass wir schon so oft hier waren. Bisher hat uns der Grand Canyon immer total in seinen Bann gezogen und völlig umgehauen, egal ob wir am Rim standen oder auf einer Wanderung waren. Heute passt es irgendwie einfach nicht.
Bei dem zu erwartenden massiven Gegenverkehr löst auch der Gedanke an den Aufstieg nicht unbedingt Vorfreude aus. Eigentlich hatten wir im Winter mit weniger Leuten gerechnet. In den meisten anderen Gebieten war das auch so. Natürlich war es keine gute Idee, ausgerechnet an einem langen Wochenende in den beliebtesten Park zu fahren. Aber der Grund, warum wir überhaupt hier sind, fällt nun mal in dieses Wochenende und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Grand Canyon an Thanksgiving oder gar nicht. Wir haben uns für Thanksgiving entschieden. Da müssen wir jetzt durch. Und so machen wir nach einer kurzen Stärkung auf den Rückweg zum Rim.
Ein paar Meter weiter fragt uns ein Herr in unserem Alter, ob wir ganz unten waren. Heuer nicht. Vor knapp 20 Jahre, im Mai 1995. Da sind wir an einem Tag bzw. in 8:20 Stunden, zum Colorado und wieder zurück gewandert, weil wir – wie üblich – keinen Platz auf der Phantom Ranch oder dem Campingplatz im Canyon bekommen haben. Er nickt anerkennend und meint: „Vor 20 Jahren. Da waren Sie noch jünger und stärker!" Waren wir. Und es war viel weniger los damals.
Wenn das Naturerlebnis zur Nebensache wird
Wie nicht anders zu erwarten war, sind gegen Mittag natürlich noch mehr Leute im Canyon als am Vormittag. An der Aussichtsplattform Cedar Ridge spielen ein paar junge Männer Phantom-Baseball, gefährlich nah am Abgrund.
Am Ooh Aah Point kritzeln zwei junge Frauen „LEITZ" in einen Felsen, der bis dahin noch unversehrt war. Es stehen mindestens 30 Leute herum, aber außer uns scheint das keinen zu stören. Am Morgen war nur ein Felsen verschmiert, vier Stunden sind es mindestens vier. Die Devise „We take only fotos und leave only footprints" interessiert scheinbar auch im Grand Canyon immer weniger.
Außerdem begegnen uns immer mehr junge Mädchen, die gekleidet sind, als würden sie zu irgendeiner hippen Sportart ins Fitnessstudio gehen, mit Leggins und leuchtend-bunten Turnschuhen. Eine dieser sportlichen jungen Damen überholt uns immer wieder in atemberaubenden Tempo, muss dann aber ständig auf ihre beiden offensichtlich deutlich weniger sportlichen Freundinnen warten, die nicht mit ihrem rasanten Tempo mithalten können. Eine der beiden ist sichtlich erschöpft. Völlig überflüssig zu sagen, dass von den dreien natürlich keine einen Rucksack mit Getränken und Erste-Hilfe-Pack dabei hat, das die Dritte im Bunde vielleicht irgendwann brauchen könnte...
Ohne Rucksack auf dem Rücken wären wir sicher auch schneller - oder wenn wir noch 30 Jahre jünger wären. Als wir eine Frau in unserem Alter überholen, meint Manfred aufmunternd: „Slow!" Sie erwidert: „Ich mache langsam. Das dürfen Sie mir glauben!" Scheinbar haben viele Feiertagsausflügler den steilen Aufstieg unterschätzt, trotz Warnschildern und dem Hinweis: Runter ist freiwillig – rauf ist obligatorisch
Nach 4:20 Stunden sind wir wieder oben. Für die Tour werden 4-6 Stunden veranschlagt. Also waren wir ziemlich flott, vielleicht auch deshalb, weil ich kaum fotografiert habe. Das will bei mir etwas heißen in einem der berühmtesten und faszinierendsten Naturwunder der Erde.